Zunächst die Gründe, warum das Glas halb voll ist. Das Abschlusskommuniqué (bzw. dessen Anhang) hat das Ende der „Ära des Bankgeheimnisses“ ausgerufen, eine detaillierte Liste mit Sanktionen vorgelegt und verbindlich vereinbart, dass Entwicklungsländer in die Ergebnisse einbezogen werden sollen. Nun der Reihe nach: Das emphatische Statement gegen das Bankgeheimnis kann als Leitlinie zukünftiger globaler Finanzregulierung gelesen werden und weißt damit über die konkreten Gipfelbeschlüsse von gestern hinaus. Diese Maxime wird einen andauernden Prozess der Politikformulierung in den nächsten Monaten als Hintergrundmusik begleiten und prägen – das ist mehr als manche im Vorfeld erwartet haben. Außerdem ist die Liste mit dem Repertoire an Sanktionen ansehnlich und erweiterbar. Diese Liste dürfte die Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten deutlich erhöhen. Was die Ausweitung des Erreichten auf Entwicklungsländer angeht, so bleibt abzuwarten welche konkreten Vorschläge gemacht werden. Die Tatsache aber, dass bis Ende 2009 Vorschläge vorgelegt werden müssen, stimmt eher zuversichtlich. Ein Vertrösten würde sich anders anhören. Ein Bonus im Abschlusskommuniqué ist außerdem, dass die Vereinten Nationen als Referenz für die anzuwendenden Steuerstandards gelten. Zwar sind diese Standards momentan nur eine Kopie der OECD-Standards (und also sehr schwach, siehe unten), aber der Verweis auf die Vereinten Nationen (VN) öffnet den Raum dafür, dass diese Standards in absehbarer Zukunft reformiert und deutlich ausgeweitet werden könnten. Damit einhergeht eine implizite Aufwertung der VN in Steuersachen und die Betonung des Doppelbesteuerungsabkommens der VN im Gegensatz zum Modell der OECD. Das bedeutet eine implizite Stärkung der Besteuerungsrechte von Entwicklungsländern (Nettokapitalimporteure) gegenüber denen reicher Staaten (Nettokapitalexporteure).
Nun zu den vier Gründen, warum das Glas halb leer ist. Erstens weißt die vorgelegte Liste hanebüchene Auslassungen auf. So begrüßenswert es ist, dass europäische Verdunkelungsoasen wie Luxemburg, Österreich und die Schweiz auf der Liste stehen, so traurig ist es, dass China offenbar jegliche Listung von Hongkong und Macao erfolgreich abgewendet hat. Vor allem aber ist die Liste jener Staaten, die als unkooperativ gebrandmarkt werden, mit vier Staaten äußerst unglücklich geraten. Zwar sind Costa Rica, Malaysia (Labuan), Philippinen und Uruguay in unterschiedlichem Ausmaß tatsächlich im Steueroasengeschäft aktiv, aber ihre Bedeutung im Vergleich mit den anderen Verdunkelungsoasen ist verschwindend gering. Es wäre ein großer Fehler, baldige Sanktionen nur gegen diese Territorien anzuwenden.
Zweitens basiert diese Liste auf fragwürdigen Kriterien der OECD. Das lässt sich daran erkennen, dass wichtige europäische Verdunkelungsoasen wie Jersey, Guernsey, Isle of Man, Irland, Zypern und Malta als Territorien gehandelt werden, die Steuerstandards ausreichend implementiert hätten. Die zugrundeliegenden OECD-Standards werden von Steuerfachleuten als nicht wirkungsvoll bezeichnet. Das liegt vor allem daran, dass diese Standards nur bilaterale Verträge zum Informationsaustausch in Steuersachen vorsehen, und außerdem eine enorm hohe Hürde für effektive Kooperation errichten. Die anfragende Steuerbehörde muss für jeden Einzelfall quasi den gesamten Hinterziehungstatbestand samt beinahe strafprozessfähigem Beweisumfang an die Steueroasen übermitteln, damit die Anfrage von der Verdunkelungsoase nicht zurückgewiesen wird. Selbst im Fall dass diese Standards funktionieren würden wäre ein Geflecht von vielen tausend Einzelverträgen notwendig damit gleichmäßige Besteuerung auch nur ansatzweise für einige reiche Staaten erreicht werden könnte. Die zeitlichen und technischen Ressourcen für diese Verhandlungen wären enorm und verwaltungsökonomisch äußerst ineffizient. Nur eine deutliche Überarbeitung und Ausweitung dieses Standards unter Führung der UN im Laufe der nächsten Jahre kann Abhilfe schaffen.
Das führt zum dritten und wesentlichsten Manko der G20-Ergebnisse: Es ist keine Rede von automatischem Informationsaustausch. Nur ein automatischer und multilateraler Informationsaustausch (mit entsprechenden Datenschutzklauseln und Bestimmungen für diktatorische Regime) kann das Problem endemischer Steuerhinterziehung auf Dauer beenden. Wie bereits im Rahmen der Europäischen Zinsrichtlinie der Fall – wenn auch nur im sehr eng umgrenzten Bereich der Zinsbesteuerung und mit vielen Ausnahmen – so müsste ein für alle Staaten zugängliches (mit obigen Einschränkungen) und umfassendes Informationsaustauschsystem errichtet werden. So lange sich das Gros der Hinterzieher hinter der fragwürdigen Zusicherung, keine 'fishing expeditions' zuzulassen, in Sicherheit wähnen kann, wird es keine gleichmäßige und gerechte Besteuerung geben.
Ein vierter und letzter Kritikpunkt ist ferner, dass das Kommuniqué keinerlei Anstalten macht die länderweise Rechnungslegung als verbindlichen Rechnungslegungsstandard für multlnationale Konzerne zu vereinbaren. Zwar wird nebulös von einem „einzigen Set globaler Rechungslegungsstandards hoher Qualität“ gesprochen, doch fehlt sowohl jede Erwähnung der länderweise Rechungslegung als auch ein deutliches Bekenntnis zu einer umfassenden und grundlegenden Neuausrichtung des International Accounting Standards Board (IASB). Die Besteuerung multinationaler Konzerne kann nur auf einer weltweit integrierten Bemessungsgrundlage wirkungsvoll erfolgen.
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