Deutschland hat sich zu Verhandlungen mit der Schweiz über eine Abgeltungssteuer verpflichtet. Die geplante Steuer würde das Schweizer Bankgeheimnis zementieren und den gemeinsamen Kampf der EU für die internationale Steuertransparenz untergraben. Zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen das geplante Abkommen ist dringend angezeigt.
Mark Herkenrath, alliance sud, 28.10.2010
Deutschland und die Schweiz haben am 27. Oktober in einer Absichtserklärung den Grundstein für Verhandlungen über ein neues Steuerabkommen gelegt. Gemäss einer Medienmitteilung des Schweizer Bundesrates geht es dabei um eine einmalige rückwirkende und um eine zukünftige reguläre Abgeltungssteuer. Das heisst, man will einerseits eine einmalige Nachbesteuerung von undeklarierten Geldern aus der Vergangenheit vereinbaren, andererseits eine wiederkehrende Quellensteuer auf alle zukünftigen Erträge aus Kapitalien in der Schweiz festlegen.
Die schweizerisch-deutsche Absichtserklärung ist auf den Webseiten der Schweizer Behörden nicht zugänglich. Klar ist aber, dass die Schweiz diese beiden Abgeltungssteuern anonym an den deutschen Fiskus überweisen und damit das Bankgeheimnis schützen würde. Dafür wären die bisherigen Vermögen und zukünftigen Erträge steuerlich „abgegolten“, also weissgewaschen, und müssten in Deutschland nicht weiter deklariert werden (siehe dazu das Faktenblatt des Schweizer Finanzministeriums).
Widerstand lohnt sich
Grossbritannien hat mit der Schweiz am 25. Oktober gemäss Mitteilung des Bundesrates eine ähnliche Abmachung getroffen. In der gemeinsamen Erklärung wird allerdings die Abgeltungssteuer mit keinem Wort erwähnt. Es heisst darin lediglich, die beiden Länder hätten in Vorgesprächen genügend Übereinstimmung erreicht, um gegen Ende Jahr offizielle Verhandlungen über ein neues Steuerabkommen aufzunehmen. Die Verhandlungsmandate müssen erst noch im Detail bestimmt werden.
Bei der Vereinbarung mit Deutschland gilt ähnliches. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ, 28.10.2010, S. 27) hält fest, dass „die kommenden Verhandlungen noch manche Punkte klären müssen und die Sache noch scheitern kann.“ Für die politischen Parteien und Nichtregierungsorganisationen besteht also noch die Möglichkeit, Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen und dafür eine kritische Öffentlichkeit zu schaffen. Sie sollten diese Gelegenheit dringend nutzen. Auf Schweizer Seite ist eine Konsultation des Verhandlungsmandats mit den zuständigen Parlamentskommissionen vorgesehen.
EU-Solidarität untergraben
Einziges ausdrückliches Ziel der gemeinsamen Erklärungen, die Deutschland und Grossbritannien mit der Schweiz vereinbart haben, ist eine erweiterte steuerliche Zusammenarbeit, die „den selben Effekt wie der automatische Informationsaustausch“ haben soll. Das bedeutet, dass der automatische Informationsaustausch mit der Schweiz für die beiden Länder vorderhand vom Tisch ist. Damit untergraben sie das gemeinsame Vorgehen der EU im Kampf für internationale Steuertransparenz. Das neue Modell widerspricht dem kürzlichen Bekenntnis des EU-Steuerkommissars Semeta zum automatischen Informationsaustausch als wichtigstem politischen Ziel. Gerüchten zufolge interessieren sich inzwischen auch Spanien und Frankreich für das neue Abgeltungsmodell.
Die EU-Kommission gibt sich allerdings gemäss NZZ-Berichten (28.10.2010, S. 27) gelassen. Sie hält fest, dass bilaterale Verträge zwischen EU-Staaten und der Schweiz weder die europäische Zinsbesteuerungsrichtlinie, noch das Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der EU und der Schweiz verletzen dürfen. Bilaterale Abmachungen über eine Abgeltungssteuer sind also möglich, dürfen aber bei der Quellenbesteuerung von Zinserträgen in der Schweiz nicht unter die Steuersätze des bestehenden Zinsbesteuerungsabkommens (zurzeit 20%, ab Mitte 2011 35%) gehen. Man nehme auch nicht an, dass sich Grossbritannien und Deutschland fortan aktiv gegen EU-Pläne in Richtung automatischen Informationsaustausch wehren würden.
Finanzielle Anreize
Dass sich Deutschland und Grossbritannien für eine Abgeltungssteuer auf sogenannte „Altlasten“ und neue Kapitalerträge einlassen, hat finanzielle Gründe. Gemäss der Basler Zeitung (BaZ, 14.10.2010, S. 7) und der SonntagsZeitung (SoZ, 24.10.2010, S. 57) gehen Insider beim geplanten Abkommen mit Deutschland von einem Steuersatz von 25 Prozent für neue Kapitalerträge aus und von 25-30 Prozent für undeklarierte Vermögen, die seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz liegen. Der Bestand solcher deutscher „Altlasten“ wird auf 200 bis 300 Milliarden Franken (150-220 Mia. Euro) geschätzt.
25 Prozent auf 200 Mia. Franken ergibt 50 Mia. Franken (37 Mia. Euro) Steuererträge, die auf einen Schlag in die deutsche Staatskasse fliessen würden. Die Bank Sarasin rät ihren deutschen Kunden allerdings zur Selbstanzeige (BaZ, 14.10.2010, S. 7): Die aktuelle deutsche Strafsteuer für Selbstanzeiger würde sie vorderhand weniger kosten als die geplante rückwirkende Abgeltungssteuer.
Kein Ersatz für den automatischen Informationsaustausch
Trotzdem kann die Abgeltungssteuer einen automatischen Informationsaustausch nicht ersetzen. Denn es besteht die Gefahr, dass sie durch die Verschiebung von undeklarierten Kapitalien auf Finanzplätze wie Singapur oder Hongkong, die keine solche Steuer erheben, umgangen wird. Zudem scheinen Grossbritannien und Deutschland weitere Umgehungsmöglichkeiten zu ahnen. Sie wollen darum in den geplanten Abkommen eine erweiterte Amtshilfevereinbarung – also den Informationsaustausch auf Anfrage – verankern.
Die Amtshilfe auf Anfrage ist jedoch mit hohen administrativen Hürden verbunden. Die Steuerbehörden müssen ihren Verdacht auf Steuerhinterziehung begründen und detaillierte Angaben zum Verdächtigten machen. Das können sie in der Regel nur, wenn ihnen „gestohlene“ Daten vorliegen. Die Schweiz hat in ihrer Amtshilfeverordnung, die demnächst in ein Gesetz überführt werden soll, darum ein Verbot der Amtshilfe bei gestohlenen Bankdaten festgelegt. In vielen Fällen könnte erst ein automatischer Informationsaustausch die Angaben hervorbringen, die für einen Informationsaustausch auf Anfrage vorausgesetzt werden.
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