Abgeltungssteuer Schweiz - wird die Bundesregierung erpresst?

Die LeserInnen dieses Blogs werden mit den bisher bekannt gewordenen Hintergründen der Abgeltungssteuer vertraut sein (z.B. hier und hier der jüngste Stand auf englisch). Immer mehr spricht mittlerweile dafür, dass es auf höchster deutscher parteipolitischer Ebene einen Interessenkonflikt ersten Ranges gibt, der die Bundesregierung überhaupt erst in Verhandlungen mit der Schweiz über eine Abgeltungssteuer einwilligen lässt.

1. Frage: Warum verhält sich Deutschland so grundlegend anders als die USA? Dort weiten die Ermittlungsbehörden ihre Untersuchungen des Schweizer Finanzsektors Schritt um Schritt aus, nachdem bekannt wurde, dass offenbar kleinere Banken ehemaligen UBS-Kunden 2008 Vorschläge zu einer Fortführung nicht-deklarierter Konten unterbreitet haben (FT-Artikel vom 8.8.2011 hier, wir berichteten darüber schon einmal hier).

Deutschland's Vorgehen kontrastiert auffällig dazu: mit ähnlich belastendem Material ausgerüstet, stellten die deutschen Strafbehörden ihre Ermittlungen bei Julius Bär am 14. April 2011 ein (Stern-Artikel hier). Gegen eine Zahlung von 50 Millionen Euro von Julius Bär wurde das Ermittlungsverfahren in einem Vergleich eingestellt. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Privatbank schien selbst überrascht, mit welchem Obulus sie davon kommt:
"Wir haben uns mit den Behörden geeinigt, um langwierige und, wie wir glauben, mühsame Ermittlungen zu vermeiden," sagte CEO Boris Collardi am Donnerstag. Deutschland sei für die Bank einer der wichtigsten Auslandsmärkte. [...]

Eine vergleichbare Übereinkunft in anderen Ländern erwarte er nicht, so Collardi weiter. Im Gegensatz zur heutigen Einigung mit den deutschen Behörden, hatte die größere Schweizer Konkurrentin UBS 2009 zur Beilegung eines Rechtsstreits in den USA der Übergabe von 4450 Kundendaten zugestimmt. Der Großbank hatte eine Anklage wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung gedroht."
Die USA haben nach solch "mühsamen" Ermittlungen über 4000 Kundendaten erhalten. Diese Anzahl dürfte weit über eine Milliarde Euro an Zusatzeinnahmen für die USA bedeuten, wenn man bedenkt dass im Fall der Liechtensteiner CD bei nur 244 abgeschlossenen Ermittlungsverfahren Zusatzeinnahmen von 181 Millionen Euro anfielen (SZ-Artikel hier). Mit welcher Rechtfertigung lässt die Bundesregierung den einfachen Steuerzahler die Zeche für einen solchen offenbar nachteiligen Vergleich mit Julius Bär bezahlen?

2. Frage: der gesamtpolitische Kontext spricht nicht dafür, zu diesem Zeitpunkt mit der Schweiz eine Sonderlösung zu suchen. Die EU-Zinsrichtlinie steht kurz vor der grundlegenden Überarbeitung (z.B. hier) und es gibt gute Chancen, dass die Schweiz bei koordiniertem Vorgehen der EU schon bald dem automatischen Informationsaustausch zustimmen würde. Warum also sollte die BRD diese Sondervereinbarung mit der Schweiz jetzt treffen?

3. Frage: Schweizer Banken blockieren offenbar zur Zeit ohne echte Rechtshandhabe die Konten einiger wohlhabender Deutscher. Warum? Die Financial Times Deutschland schrieb dazu am 7. Juli:
"'Seit etwa zwei Monaten häufen sich die Fälle, in denen Kunden aus dem Ausland nicht mehr den vollen Zugriff auf ihr Konto haben', sagt Hanspeter Häni, der Schweizer Bankenombudsman. Bis zu fünfmal sei das schon vorgekommen, auch deutsche Kunden seien betroffen. 'Das sind keine kleinen Beträge', sagt Häni: 'Es geht um vermögende Privatkunden.'"
Der FT-Artikel stellt dies als eine Art Unfall in den Kontext des Einfrierens von Diktatorengeldern aus Ägypten und Libyen. Häni aber sagt dazu:
"Häni vermutet, dass die Blockade der Kundengelder mit den Steuerverhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland sowie Großbritannien zu tun hat. Die Eidgenossenschaft ringt mit der Bundesrepublik seit Monaten über eine Abgeltungssteuer für undeklarierte Altvermögen. Die Einigung sollte längst erzielt sein, wegen Streit um technische Details ziehen sich die Gespräche allerdings in die Länge. Die Schweizer Banken haben zugesichert, dass sie ihre Kunden nicht dabei unterstützen, Schwarzgeld noch schnell beiseite zu schaffen."
Verdutzt sollte uns diese Zusicherung der Schweizer Banken machen, bei der Verhinderung der Steuerhinterziehung über das Maß des absolut Notwendigen hinaus mit Deutschland zu kooperieren. Die FT fährt fort:
"Es ist durchaus möglich, dass die Banken aus Vorsicht blockieren. Denn Fehler in der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung werden von der Finanzaufsicht Finma spätestens seit Oktober 2010 streng verfolgt. Die Ironie: Einige Banken hatten die Regierung in Bern für deren Aktivismus bei den Potentatengeldern kritisiert. Jetzt werden sie selbst ganz eifrig. 'Ich kann mir vorstellen, dass sich die Blockade-Fälle häufen', sagt Häni."
Für die Blockade gibt es mindestens noch zwei weitere Erklärungen als die des vorauseilenden Gehorsams in Anbetracht einer strikteren Finanzmarktregulierung. Zum einen berichtet die Sonntagszeitung, dass die für den 10. August geplante Verabschiedung des Abkommens eine Vorauszahlung der Schweizer Banken von 2 Milliarden Franken an Deutschland beinhaltet. Das könnte einen Anreiz für Schweizer Banken setzen, einige große Vermögen von Deutschen vorauseilend zu blockieren.

Die Ironie im Verhalten des Schweizer Einfrierens könnte allerdings vielleicht noch plausibler zu erklären sein. Selbst wenn die Schweizer Banken wegen der Vorauszahlung nun einen Anreiz haben, einzelne Konten einzufrieren, liegt die Wahl dieser Konten ja im Ermessen der Schweizer Banken.

Wir erinnern uns, der Vorschlag einer Abgeltungssteuer stammt aus dem Herzen des Schweizer Bankenmilieus, der Schweizerischen Bankiervereinigung (grober Hintergrund hier, pdf mit Details hier). Wenn die Abgeltungssteuer umgesetzt wird winkt Schweizer Banken ein prächtiges Geschäft: Deutsche Anleger mit Schwarzgeld auf der ganzen Welt würden dazu ermutigt, diese in die Schweiz zu transferieren um dann das Schwarzgeld unbehelligt von der Sorge vor Strafverfolgung zu genießen. Eine Vielzahl an spezialisierten Boutiquenbanken samt Beratern steht bereit, jedwede vorbeugende Maßnahme gegen ein solches Einfalltor für kriminelle Gelder auszutricksen. Das weiß die Schweizerische Bankiersvereinigung natürlich.

Was nun wird die Bankiersvereinigung oder ein einzelnes Mitglied in einem solchen Fall tun, wo sie zum Schutz ihres eigenen Gewinns Gelder von vermögenden Deutschen einfrieren möchte, andererseits aber gerne die Abgeltungssteuer so schnell wie möglich verabschiedet sehen will? Einen Vorteil haben die Banker: sie kennen die Identität der Konteninhaber ihrer Schweizer Bankkonten. Gäbe es ein Konto eines einflussreichen Parteimitglieds der deutschen Regierungsfraktionen könnte die Wahl schnell und zu aller Zufriedenheit getroffen werden.

Angenommen nun eine Bundesregierung möchte von vornherein eigentlich hart gegen SteuerhinterzieherInnen vorgehen. Könnte diese nicht schon früher sehr schnell zum Einlenken in den Abgeltungssteuer-Vorschlag bewegt werden, wenn ein einflussreiches Parteimitglied einer deutschen Regierungspartei in der Schweiz ein Konto unterhalten würde, das nun aus fadenscheinigen Gründen blockiert ist? Und was, wenn es doch handfestere Gründe gibt? Was ist aus den ganzen CDs aus der Schweiz mit belastendem Material geworden (etwa hier)?

Folgerung: Wenn die hier skizzierte Erklärung für die deutsche Haltung zum Abgeltungssteuervorschlag zutrifft, dann wären die Bundesregierung oder einzelne prominente Mitglieder der Regierungsparteien viel anfälliger für politischen Druck von Schweizer Banken. Das Ziel der Banken wäre die Aushebelung des Vorstoßes in Richtung automatischer Informationsaustausch, und die fiskalpolitische Spaltung Europas.

Zugegeben: das riecht sehr nach Verschwörungstheorie. Wer aber das herausragend recherchierte Buch von Nicholas Shaxson über die Funktionsweise von Steueroasen gelesen hat (Treasure Islands; es wird bald auf Deutsch erscheinen), wird diese Möglichkeit weniger ungläubig in Betracht ziehen.

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