Die Steuerschande der Europäischen Union

Unter diesem Titel erschien heute im Österreichischen Standard, in der Süddeutschen und im Luxemburger Wort ein Artikel von drei Grünen Abgeordneten aus Deutschland, Österreich und Luxemburg. Tax Justice Network ist und bleibt ein parteilich ungebundenes Organ, aber wie schon in der Vergangenheit verschweigen wir es nicht, wenn sich Parteipositionen erfreulich jenen von TJN annähern. Darum möge der Standard verzeihen für die ausführliche Dokumentation des Artikels:
"Bilaterale Abkommen Deutschlands und Großbritanniens mit der Schweiz untergraben den Kampf der EU-Länder gegen Steuerhinterziehung - Eine länderübergeifende Intervention der Grünen.

Die Reaktion war vorhersehbar und kam prompt: Direkt nach Bekanntwerden erster Details des angestrebten Steuerabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz zogen die Regierungen Österreichs und Luxemburgs ihre zuvor angekündigte Bereitschaft zurück, über einen erweiterten Austausch von Steuerdaten zu verhandeln. Als Parlamentarier, die sich seit Jahren für einen stärkeren Kampf gegen Steuerflucht einsetzen, halten wir diese Entwicklung innerhalb der Europäischen Union für fatal. Der Weg, den Deutschland und die Schweiz eingeschlagen haben, betrifft unsere drei Staaten auf unterschiedliche Weise - vor allem aber betrifft er die EU und uns eint die Sorge um einen großen Rückschlag bei der Förderung von Steuergerechtigkeit in Europa.

Das Verhalten der Regierungen von Österreich und Luxemburg zeigt, dass das bilaterale deutsch-schweizerische Abkommen Auswirkungen weit über die beiden unterzeichnenden Staaten hätte. Um die Reichweite dieses Schritts nachvollziehen zu können, muss man etwas zurückgehen in der Geschichte des Ringens innerhalb der Europäischen Union um einen effektiven Weg, Steuerhinterziehung zu unterbinden:

Die EU-Zinsbesteuerungsrichtlinie, die 2005 in Kraft trat, war ein Novum, weil zum ersten Mal eine überregionale und wirtschaftlich eng verflochtene Staatengruppe den automatischen Informationsaustausch implementierte. Dieser Austausch, auch wenn er bis heute nicht vollständig ist, ist ein effektives Instrument gegen Steuerflucht, weil automatisierte Kontrollmitteilungen verhindern, dass den nationalen Steuerbehörden Kapitalerträge ihrer steuerpflichtigen Bürger im Ausland verborgen bleiben.

Die Richtlinie war ein großer Erfolg all jener, die sich über Jahre hinweg für eine größere Steuertransparenz eingesetzt haben. Darüber hinaus wurde es explizites Ziel der EU-Institutionen, den automatischen Informationsaustausch möglichst umfassend zu implementieren, auch mit fünf verbundenen Drittstaaten, zu denen die Schweiz gehört.

Bis heute sind Österreich und Luxemburg durch eine Ausnahmeregelung nicht vom Geltungsbereich der Richtlinie erfasst, aber wachsender Druck der EU-Partner, gerade auch vor dem Hintergrund der Finanzkrise, hatte Verhandlungsbereitschaft der Regierungen erzeugt. Dies war möglich aufgrund eines nahezu einheitlichen Auftretens derjenigen EU-Länder, die die Zinsrichtlinie voll umgesetzt haben. Doch dieser erfolgreiche Prozess wird nun vollständig vom vorgesehenen deutsch-schweizerischen Abkommen konterkariert: Wenn Deutschland mit der Schweiz ein Abkommen unterzeichnet, das statt des automatischen Informationsaustauschs eine Amnestie für die Vergangenheit und eine pauschale anonyme Abgeltungsteuer für die Zukunft vorsieht - warum sollten die Regierungen anderer Staaten wie Österreich und Luxemburg die für sie günstige Ausnahmeregelung aufgeben? Das deutsch-schweizerische Steuerabkommen zerstört die gemeinsame EU-Strategie, indem gerade Deutschland, das sich immer für den automatischen Austausch eingesetzt hatte, aus der gemeinsamen Linie ausschert und die EU-Position hintertreibt.

Die bilateralen Abkommen mit der Schweiz haben also zwei negative Effekte: Erstens wird die Implementierung eines automatischen Informationsaustauschs in der gesamten Europäischen Union dauerhaft verhindert, zweitens gibt es kein einheitliches Auftreten der EU mehr - es droht ein Rückfall in Verflechtungen vieler bilateraler Abkommen, statt die richtige Vorgehensweise gemeinsamer EU-Abkommen und einer EU-weit gemeinsamen Haltung fortzusetzen.

Deutliche Kritik kommt daher aus dem Europäischen Parlament und vom Steuer-Kommissar Algirdas Semeta. Bilaterale Abkommen mit der Schweiz, die mittlerweile auch mehrere andere EU-Staaten anstreben, zerstören so den bislang erfolgreichen Prozess, zu einer gesamteuropäischen Lösung zu kommen. Während nationale Regierungen versuchen, das Problem in Bezug auf die Schweiz zu lösen, erschweren sie die Lösung der Steuerflucht-Problematik mit anderen Staaten. Das ist steuer- wie europapolitisch ein gravierender Fehler.

Fundamentale Gerechtigkeitsprobleme lassen das Abkommen in einem noch schlechteren Licht erscheinen: Steuerkriminelle, die nervenstark genug waren, ihr Geld möglichst lange versteckt zu halten, werden mit einer Amnestie belohnt. Zudem werden sie in den meisten Fällen weniger Steuern nachzahlen müssen als sie auf legalem Weg hätten entrichten müssen. Für die Zukunft gilt eine Abgeltungsteuer, die durch ihre Anonymität nicht nur weiter dazu beiträgt, illegale Aktivitäten zu verschleiern, sondern auch eine leistungsgerechte Besteuerung verhindert, weil ein einheitlicher Steuersatz statt eines progressiven Tarifverlaufs gilt.

Frage der Gerechtigkeit

Und schließlich beinhaltet der Abkommensentwurf zwischen Deutschland und der Schweiz auch zahlreiche Schlupflöcher, etwa bei Stiftungen, Körperschaften und bei der Verhinderung der Transferierung des Kapitals in andere Steueroasen. Gerade in Zeiten, in denen die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft und die sozialen Sicherungssysteme wie die öffentlichen Haushalte finanziell unter Druck geraten, ist es falsch, Steuerabkommen zu beschließen, die dem Staat die Möglichkeit der effektiven Steuerhoheit wegnehmen.

Gerade weil die steigende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen eine der Ursachen der Krise ist, wird auch eine sozial gerechtere Umverteilung der Einkommen mittelfristig zu mehr ökonomischer Stabilität führen. Das fiskalpolitische Modell der Schweizer Abkommen führt auf Dauer zu reduzierten Steuereinnahmen bei den EU-Mitgliedsländern und wird die desolate Lage der öffentlichen Haushalte verschärfen - auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit.

Bislang sind die bilateralen Abkommen mit der Schweiz nur auf Regierungsebene unterzeichnet, aber noch keines ist bislang von den Parlamenten endgültig ratifiziert worden. Es ist also noch nicht zu spät, auf diesem falschen Weg wieder umzudrehen und zur gemeinsamen EU-Strategie zurückzufinden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.1.2012) Der Text erscheint zeitgleich in der "Süddeutschen" und im "Luxemburger Wort".

Autoren

François Bausch, Fraktionschef der Grünen im Parlament von Luxemburg;
Werner Kogler, Finanzsprecher der Grünen im österreichischen Nationalrat;
Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen im Deutschen Bundestag."

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