Dieser Artikel wurde in der ökumenischen Zeitschrift "Kirche in Marburg" veröffentlicht und Teile daraus stammen aus einer Aussenansicht für die Süddeutsche Zeitung vom 12. April 2013.
Offshore-Leaks und Uli Hoeneß haben das Problem systematischer internationaler Steuerhinterziehung in die Medien gespült. Aber auch der nahe Verwandte der Steuerhinterziehung, die (noch nicht illegale) Steuervermeidung, wird gesellschaftlich immer weniger hingenommen. Das konnten wir letztes Jahr anhand von Starbucks beobachten. Nachdem bekannt wurde dass die Café-Kette im Vereinigten Königreich in den letzten 14 Jahren nur 8,6 Millionen Pfund Ertragssteuern bezahlt hat bei über 3 Milliarden Umsatz, kam es dort zu Boykottaufrufen und parlamentarischen Anhörungen.
Ganz ähnlich Starbucks Deutschland: Seit 2002 wurden nur Verluste ausgewiesen, und etwa 2011 wurde bei einem Umsatz von 117 Mio. Euro ein Verlust von 5,3 Mio Euro ausgewiesen.
Die internationalen Konzerne Starbucks, Amazon, Google, Apple und Microsoft und viele andere haben und nutzen die Möglichkeit, ihre Gewinne auf dem Papier in Steueroasen zu verschieben und sich vor dem Fiskus anderer Staaten arm zu rechnen. Somit erreichen diese eine deutlich geringere Steuerquote als kleine und mittelständische Unternehmer, die am Ende die Rechnung bezahlen müssen, weil sie auf höheren Steuern sitzen bleiben.
Nächstenliebe ist auch: Steuerpflicht
Diese Steuertricks stoßen in einer massiven Wirtschaftskrise nicht nur bei BürgerInnen auf Unverständnis. Auch kleinere und mittelständische Mitbewerber sind zunehmend aufgebracht über den unfairen Wettbewerbsnachteil. Legalität hin oder her - Steuervermeidung wird zunehmend zu einem zentralen Reputationsrisiko. Auch als Christen dürfen wir uns aus der Debatte über die Finanzierung des Gemeinwesens nicht einfach verabschieden unter Verweis auf vielleicht uns fragwürdig erscheinende Ausgaben oder Verschwendung öffentlicher Gelder (wenngleich wir uns auch hier weiter einmischen sollten). Vielmehr sollten wir einsehen, dass unser (vollzogener oder erst rhetorischer) Abschied aus dem Steuerbeitrag letztlich anderen, auch meinem „Nächsten“, höhere Lasten im Gegenzug aufbürdet. Wenn ich Jesu Gebot, meinen Nächsten zu lieben wie mich selbst (Mt 22:39) als zentral für die Nachfolge neben und direkt nach der Gottesliebe ernst nehme, kann ich also nur schwerlich rechtfertigen, meinen steuerlichen Beitrag unter enormem Aufwand und unter Ausnutzung aller Winkelzüge zu minimieren. Vielmehr darf ich meinen Steuerbeitrag als Dividende an die Gesellschaft begreifen, als Ausdruck tätiger Nächstenliebe. Denn die Option in unserer Welt ist nicht die Abschaffung des Staates, sondern die Durchdringung aller unserer Lebensbereiche, auch des Staates, mit dem Reich Gottes, so wie Jesus das am Bild des Sauerteigs verdeutlicht.
Meinen Nächsten wie mich zu lieben ist kaum möglich, wenn ich grundsätzlich Eigentum gegen andere Menschen verteidige und nicht gutheiße und zulasse, dass auch andere von meinem Eigentum abbekommen und selbst Eigentümer werden. Gott setzt dem (allzu menschlichen) Selbsterhaltungsprinzip das Prinzip entgegen, dass Gottes Segen für uns immer als Multiplikator gedacht, immer auch für andere gemeint ist. „Unser“ Geld oder Gewinn ist vielleicht eben weniger „unser“ als vielmehr Gottes, weil letztlich auch die Arbeitskraft, durch die wir Geld verdienen, von seiner Gnade abhängt (vgl. etwa 5. Mose 8:18; 3. Mose 25:23). Außerdem sollten wir uns als Christen auch die Frage gefallen lassen, ob wir nicht deshalb so viel Materielles oder Geld „unser“ nennen können, weil in den vergangenen Jahrzehnten ärmere Menschen in Deutschland und in Entwicklungsländern unseren materiellen Reichtum mitfinanziert haben. Wie dies durch das Offshore-Finanzsystem auf globaler Ebene geschieht soll der verbleibende Artikel aufzeigen.
Oasen mit Schuldenstrudeln
Seit dem Ankauf der Liechtensteiner Steuer-CD durch den BND im Jahr 2007 tauchen „Steueroasen“ immer häufiger in deutscher und internationaler Politik und Berichterstattung auf. Ob palmengesäumte Strände oder verschlafene Alpentäler, die Begleitmusik war meist dieselbe: exotische Ausnahmen, verloren gegangene Schafe, Einzelfälle. Als im Juli letzten Jahres diesem vermeintlich exotischen Nebenschauplatz der Weltwirtschaft eine Zahl zugeordnet wurde, begann diese Überzeugung zu wanken. Im Jahr 2010 hatten Superreiche weltweit 21-32 Billionen Dollar in Steueroasen versteckt - wohlgemerkt Billionen, also Tausende von Milliarden. Die Kehrseite dieser gigantischen Privatvermögen sind Schulden der öffentlichen Hand - besonders im internationalen Maßstab. Eine große Anzahl an Entwicklungsländern, die traditionell als Schuldnerländer betrachtet werden, sind laut derselben Studie in Wirklichkeit Gläubiger gegenüber der übrigen Welt, etwa Deutschland. 139 untersuchte Entwicklungsländer leihen den reichsten Nationen der Welt über zehntausend Milliarden US$. So helfen die ärmsten Nationen dieser Welt, unseren Zweitwagen, iPhone und Espressovollautomaten mitzufinanzieren - freilich ohne gefragt zu werden.
Das Problem ist, dass die Vermögen wenigen Privatpersonen gehören, während die Schulden über Regierungen von der breiten Bevölkerung geschultert werden. Entwicklungsländer haben also kein Schuldenproblem, sondern sie haben ein Problem mit den versteckten Offshore-Vermögen. Im Kampf gegen die Armut weltweit gibt es kein größeres strukturelles Problem als das Offshore-Finanzsystem.
Statistisch betrachtet ist ein Entwicklungsland umso ärmer (gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf), je geringer die Steuerquote im Entwicklungsland ist (das heißt der Anteil der gesamten Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt). Die ärmsten Länder haben eine durchschnittliche Steuerquote von 18,4 %, Länder mittleren Einkommens von 26,4 % und OECD-Länder mit hohem Einkommen eine Quote von 41,5 %. Vereinfacht gesprochen bedeutet das, dass ein Entwicklungsland Hunger und Armut aus eigener Kraft überwinden könnte, wenn es gelingen würde, die Steuerquote auf das Niveau von Industrienationen zu heben. Dann bräuchten sie auch keine Entwicklungshilfe aus dem reichen Westen mehr. In Entwicklungsländern heißt es immer häufiger, man wolle „Gerechtigkeit statt Almosen“.
Ohne die inneren Probleme vieler Länder zu leugnen, die eine solche Erhöhung der Steuerquote erschweren (dazu zählt die Schattenwirtschaft, Bestechlichkeit, schlechte Regierungsführung, usf.), darf die internationale Dimension des Problems als entscheidend gelten. Neben dem bereits aufgezeigten Problem der Offshore-Vermögen und hohen Auslandsschulden zeigen andere Studien etwa, dass Entwicklungsländer durch illegale Finanzströme jährlich ein Vielfaches dessen an Kapital verlieren, was sie durch öffentliche Entwicklungshilfe erhalten. Allein durch Preismanipulationen von Konzernen verlieren Entwicklungsländer jährlich US$ 160 Mrd. an Steuereinnahmen das ist deutlich mehr, als sie an öffentlicher Entwicklungshilfe jährlich erhalten. Gäbe man diese Summe in Entwicklungsländern gemäß der jetzigen Haushaltsprioritäten auch für Gesundheitsversorgung aus, dann würde diese Summe ausreichen, um jährlich das Leben von 350.000 Kindern unter fünf Jahren zu retten.
Trotz Geheimhaltungsindustrie gelang es in jüngster Zeit durch akribische Recherchen immer wieder, Beispiele des Steuervermeidungsspiels zu beleuchten. So bezahlen der Rohstoffgigant Glencore und der Bierbrauer SABMiller (etwa Grolsch, Pilsner Urquell, Fosters, Miller) in Entwicklungsländern kaum nennenswerte Ertragssteuern, obwohl sie mit Förderung von Rohstoffen, Produktion und Verkauf von Waren große Gewinne erwirtschaften. SABMiller etwa erreicht das, indem eine SABMiller-Tochter mit Sitz in Zug/Schweiz den konzerneigenen Brauereien in Afrika überhöhte Rechnungen über teils sogar fiktive Dienstleistungen und Patentgebühren stellt. So schafft SABMiller insgesamt 100 Millionen Schweizer Franken jährlich aus Afrika in Steueroasen, ca. 60 Millionen davon gehen in den Kanton Zug in der Schweiz.
Kolonialismus des 21. Jahrhunderts
Der Kolonialismus hat im letzten Jahrhundert die politische Bühne verlassen müssen auf der ökonomischen Bühne spielt er nach wie vor die Hauptrolle, das Offshore-Finanzsystem ist sein neues Gewand. Es umspannt den ganzen Globus und befindet sich heute im Zentrum der Weltwirtschaft. Mehr als die Hälfte des Welthandels wird auf dem Papier über notorische Steueroasen abgewickelt.
„Offshore“ bezeichnet keinen geographischen Ort, sondern ist der virtuelle Zwischenraum jenseits behördlicher Aufsicht, sind die Nischen und Spalten zwischen aneinanderstoßenden Rechts- und Wirtschaftsräumen. Diese Lücken werden mit ausgeklügelter Intransparenz und Rechtsverdrehung gepaart. Heere hochbezahlter Anwälte, Banker und Wirtschaftsprüfer beschäftigen sich mit wenig anderem als der Suche nach neuen Steuer- und Regulierungstricks, nach Lücken in Rechtssystemen und Offenlegungspflichten, welche dann in komplexen Modellen zusammengeschnürt an Superreiche, Geldwäscher oder Konzerne verkauft werden.
Wo eine Lücke oder Haftungsauschluss noch fehlt, da wird nachgeholfen. Dank des unbürokratischen Austauschs mit dem Gesetzgeber in Steueroasen wird prompt eine entsprechende Gesetzesvorlage eingebracht. Denn die Regierungen kleiner Schattenfinanzplätze sind Winzlinge im Vergleich zu globalen Finanzkonzernen - Professor Ronen Palan spricht von „kommerzialisierter Souveränität“.
Was zu tun ist
Die Regeln übrigens betreffen keineswegs nur Steuern. Das Offshore-System besteht, weil es eine einzige Dienstleistung feilbietet: die Umgehung von Spielregeln, Gesetzen und Regulierungen anderer Staaten. Präventive Regeln gegen Drogen-, Menschen-, und Waffenhandel sowie gegen Bestechung, Insiderhandel, wettbewerbswidrige Monopole und viele andere Straftaten werden durch das Offshore-System „überwunden“. Geheimhaltung ist dafür Voraussetzung und der Begriff „Schattenfinanzplatz“ bzw. „Verdunkelungsoase“ darum zutreffender als „Steueroase“.
Nach über dreißig Jahren des Regulierungswettlaufs ist kaum jemand mit weißer Weste übrig. Auch Deutschland mischt mit, senkt munter Konzern- und Spitzensteuersätze, bevorzugt ausländische Finanzinvestoren, interveniert diplomatisch und politisch, um größere Mitspracherechte von Entwicklungsländern bei der Ausgestaltung internationaler Steuerregeln zu verhindern. Auch schränkte Deutschland 2009 die Steuerkooperation mit Entwicklungsländern ein. Nicht zufällig sind über 1,3 Billionen Euro ausländische Gelder auf deutschen Konten angelegt. Wir wissen nicht, wie viel davon aus Entwicklungsländern kommt. Anekdotisch: Gaddafi hatte allein sechs Milliarden Euro im deutschen Finanzsystem angelegt.
Entwicklungspolitik sieht sich gerne in der Geste des Helfenden. Es ist bequemer, Almosen zu senden, als daheim für politische Reformen, für Gerechtigkeit zu streiten.
Aber: Es wird Aufgabe unserer Generation bleiben, den Skandal des Offshore-Finanzsystems aufzudecken und sein Ende zu besiegeln. Jede/r kann sich - im Rahmen seiner Möglichkeiten - engagieren, z. B. bei einer von Christen initiierten Kampagne.
Gucken Sie doch mal unter:
http://www.micha-initiative.de/mitmachen/exposed
oder
http://www.steuer-gegen-armut.org/home.html