Manchen dürfte der wiederholte Ruf nach automatischem
Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden Spanisch vorkommen: droht
da nicht der Überwachungsstaat? Die große Steuerkeule? Die Diskussion um
diese Fragen wird nicht einfacher dadurch, dass eine mächtige
Finanzlobby im In- und Ausland alles daran setzt, Falschinformation und
Vorurteile in dieser Hinsicht zu schüren, um ihre Pfründe zu sichern
(eine Groteske über die Staatsskepsis können Sie in diesem und diesem Video sehen).
Die Zusammenhänge zwischen dem Nord-Süd-Gefälle und dem automatischen
Informationsaustausch in Steuerfragen sind zugegebenermaßen höchst
komplex. Um in diese Wissenslücke vorzustoßen hat TJN-International vor
einiger Zeit ein Hintergrundpapier zum Informationsaustausch zwischen
Nord- und Südländern veröffentlicht (hier).
Aus der Grafik unten, die diesem Papier entnommen ist, soll ersichtlich
werden, dass der automatische Austausch dazu in der Lage ist extreme strukturelle Ungleichgewichte zwischen Nord und Süd beheben zu
helfen. Die Folgen des automatischen Austauschs könnten gravierende
Verbesserungen für den Schutz der Umwelt, stärkere Arbeitnehmerrechte,
sinkende Gesundheitskosten, und allgemein eine Rückkehr der
wirtschaftlichen Produktionsprioritäten zur Stillung primärer
Bedürfnisse aller Weltenbürger sein.

Deutschland und andere westliche Staaten sind ja längst Teil des internationalen Finanzkasinos
und nicht nur Opfer. Zum Beispiel durch die Geheimhaltung und
Steuerbefreiung, die deutsche Konten ausländischen Anlegern bieten,
zieht Deutschland enorme Kapitalanlagen an. Die FATF sprach 2010 von
1300 Milliaren Euro ausländischen Einlagen bei deutschen Finanzinstituten
(Seite 19, hier). Kein Mensch weiß, wie viel davon besteuert wird. In den
USA wird von ausländischen Finanzanlagen im Umfang von 7-10 Billionen US$
gesprochen (Seite 5, hier).
Für die Schweiz sind es ca. 2 Billionen.
Diese Auslandsanlagen führen zu einer Aufwertung der Währung. Das hat eine überhöhte Außen-Kaufkraft des Euro, des US-Dollars oder des Schweizer Frankens zur Folge. Mit einem Euro kann ich vielleicht zur Zeit ein
Kilo Bananen aus Übersee kaufen oder für 500€ eine Tonne Soya für unsere Europäischen
Hühner- oder Schwein“fabriken“. Würde der Intransparenz-Anreiz für
Anlagen in Deutschland wegfallen, dann könnten große Kapitalanlagen aus
unseren Ländern zurück in die Herkunftsländer fließen.
Der Anleger aus Südafrika, der bisher gerne sein Geld auf deutschen
Konten anlegt, weil er auf die Zinsen weder in Deutschland Steuern
bezahlen muss, und auch zu Hause in Südafrika keine Steuern bezahlt
(Steuerhinterziehung), würde sich bei besserer Transparenz etwa durch routinemäßige Kooperation der deutschen Steuerbehörden mit Südafrikanischen Steuerbehörden überlegen, ob er riskieren möchte aufzufliegen, oder doch
lieber sein Geld abzieht und etwa in Südafrika anlegt. Wenn dies alle Schwarzgeldanleger in der EU tun würden, dann könnte im Ergebnis ein Kilo Bananen bei uns 1,50€ statt bisher 1€ kosten, oder eine Tonne Soja 800€ statt wie bisher 500€. Unser Konsum importierter Güter würde sich verteuern, und würde zurückgehen. Im Umkehrschluss aber könnten sich einige Industrien hierzulande wieder eher lohnen als zuvor.
Wollen wir das? Wollen wir nicht lieber einen größeren
Flachbild-Fernseher, eine zweite Playstation, einen Drittwagen? Der
Umwelt würde geringerer Konsum sicherlich gut tun. Tut Finanztransparenz aber auch uns gut?
Ja, denn Glück hängt nachgewiesenermaßen nicht vom Reichtum ab, und
außerdem gibt es mindestens zwei Kehrseiten: Wenn unsere Währungen
schwächer würden, dann würde es sich wieder eher lohnen einige der
Produkte und Dienstleistungen hier herzustellen und anzubieten, die
vorher importiert wurden. Ganz praktisch heißt das, dass manch
arbeitsintensive Branche zurückkommen und für mehr Arbeitsplätze sorgen
könnte.
Insgesamt würden die Kosten für Kapital im Verhältnis zu den Kosten für
Arbeit steigen. Das heißt dass es weniger Roboter und Maschinen geben
würde, und mehr arbeitende Menschen vor allem in einfachen Tätigkeiten.
Wie könnte das konkret aussehen?
Einige sehr vereinfachende Beispiele:
- Statt den Billigstaubsauger, Billigfernseher und Billiglaptop nach
wenigen Jahren defekt wegzuwerfen, würde es sich wieder eher lohnen
Geräte zu reparieren.
- Fegende Menschen statt Laubbläser: brauchen wir für jeden Handgriff eine Maschine? Ist das gut für uns?
- Statt mit Computern zu sprechen, wenn man eine Auskunft einholen
möchte, z.B. bei der Bahn, könnten wieder öfters Menschen am Telefon
Auskunft geben.
- Statt im Supermarkt Kassenautomaten zu finden, oder Pfandautomaten,
gäbe es Menschen, die Kassen bedienen oder Pfandglas entgegen nehmen.
Die zweite wesentliche Kehrseite des Kapitalablfusses durch eine bessere
Zusammenarbeit und Transparenz betrifft die zurückgewonnene
Besteuerungsfähigkeit von Kapitaleinkünften. Wenn wir aus
Kapitalerträgen und Gewinnen einen ähnlich großen Anteil des
Steueraufkommens wie in den 60er oder 70er Jahren finanzieren würden,
dann könnte die Steuerbelastung auf Arbeitseinkünfte deutlich sinken.
Insgesamt könnten wir so weniger in der Woche arbeiten bei
gleichbleibendem Nettolohn. Vielleicht könnten sich dann nicht nur die
Reichsten wieder mehr Zeit für Beziehungen, für Kinder, Familie und
Freunde nehmen.
Darüber hinaus könnten aufgrund steigender Steuereinnahmen die
öffentlichen Dienstleistungen verbessert werden und zu einer
Verbesserung des Lebensstandards aller beitragen: Schulklassengrößen
könnten sinken und Lehrer wären weniger gestresst; in sozialen Berufen
könnte die Überarbeitung und Frustration sinken. Die
Einkommensungleichheit würde sinken, und damit auch die
Kriminalitätsrate sowie viele andere soziale "Krankheiten". Das Buch von Wilkinson und Pickett "Gleichheit ist Glück. Warum gerechtere Gesellschaften für alle besser sind" ist ein nachdrücklicher Augenöffner für die Bedeutung der Einkommens(un)gleichheit (hier ein Video, hier eine Rezension).
Nicht zuletzt Entwicklungsländer würden durch das zurückfließende
Kapital in die Lage versetzt, ihre Wirtschaft zu stabiliseren, die
globale Ungleichheit könnte dadurch zurückgehen mit der Folge dass es
weniger Kriminalität, Kriege, Hungersnöte, Armut und
Flüchtlingsbewegungen gäbe. Zugegeben, diese Vision für eine Welt mit
dem Automatischen Informationsaustausch ist sehr vereinfacht und noch
nicht mit belastbaren Zahlen nachgewiesen. Das liegt zum Beispiel daran, dass bislang kein Staat der Welt detailliert offenlegt woher die Finanzanlagen in ihren Finanzsystemen stammen - oft, weil sie das selbst nicht genau wissen, denn die Informationen zu wirtschaftlichen Eigentümern von Finanzkonten werden erst langsam systematisch und noch immer mit vielen Lücken von Banken erhoben.
Wären wir bereit, für eine solche Welt den politischen Konflikt für eine
Besteuerung der Reichsten unserer Gesellschaft zu wagen? Wäre unsere
Mittelschicht, wären wir bereit, für eine solche Welt sogar einen
(vorübergehenden) Rückgang unseres materiellen Konsums in Kauf zu nehmen?
Erst wenn wir eine tiefe grenzübergreifende Kooperation bei der
Kapitalbesteuerung eingeführt haben ist es überhaupt erst möglich eine
echte progressive Besteuerung (d.h. eine ansteigende Besteuerung für
höhere Einkommen) einzuführen. Das gleich gilt für einen Schuldenschnitt
bzw. eine Wohlstandsbeschneidung, etwa ein modernes Erlassjahr:
wirkungsvoll und gerecht kann es nur durchgeführt werden durch eine
robuste grenzüberschreitende Kooperation der Steuerbehörden. Andernfalls
droht ein möglicher Schuldenschnitt vor allem zu einer Beschneidung der
kleinen und mittleren Vermögen zu führen. Griechenland scheint ein
Beispiel dafür zu sein, wo wohlhabende Griechen sich dem Schuldenschnitt
gegenüberstehenden Beschnitt der Vermögen weitgehend entziehen konnten.
Was die Furcht vor dem absolutistischen Überwachungsstaat angeht: wer
sich mit der Geschichte seit dem Westfälischen Frieden 1648 ein wenig
auskennt, diesen Blog aufmerksam liest, Einblick in die finanzpolitische
Szene hat oder schon Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit in der Welt
gemacht hat, wird abwinken: Nichts ist weniger plausibel als dass
aufgrund einer existierenden friedlichen zwischenstaatlichen Kooperation
eine enorme Anzahl Finanz- und Fiskalpolitiker unterschiedlichster
Länder der Erde über ihr tiefsitzendes Misstrauen gegeneinander
hinauswachsen um gemeinsam einen totalitären Steuerstaat gegen ihre
Bevölkerung zu begründen. Das ist wahrlich eine absurde Vorstellung.
Wenn es nochmals zu einem totalitären Regime in unseren Breiten kommen
sollte, dann doch eher eben weil die demokratischen Staaten und ihre
Politiker nicht in der Lage waren, dem Kapital angemessene
Rahmenbedingungen zu setzen und glaubwürdige, robuste Regulierung
durchzusetzen, und die folgende ökonomische Dauerkrise die Bevölkerung
über die Zeit in die Hände von Hasspredigern treibt. Zur Errichtung
eines totalitären Regimes würden Hass-Demagogen überhaupt keine bereits
existierenden grenzüberschreitende Mechanismen des automatischen
Informationsaustauschs benötigen sondern könnten per Dekret jedweden
totalitären Mechanismus einführen.
Außerdem unterliegen die Daten des Automatischen Informationsaustauschs
natürlich dem Steuergeheimnis, und dürften nicht öffentlich gemacht
werden. Nur die zuständigen Steuerbeamten hätten Zugang.
Der erste innerdeutsche Schritt in Richtung eines wirkungsvollen
Mechanismus für den Automatsichen Informationsaustausch wäre die
Abschaffung der innerdeutschen Abgeltungssteuer. Sie müsste ersetzt
werden durch die Rückkehr zur progressiven Kapitalbesteuerung bei
gleichzeitiger automatischer Meldung aller innerdeutschen
Finanzkontenerträge und durch eine Meldepflicht aller ausländischen
Finanzkonten. In den skandinavischen Ländern, Spanien, Frankreich und
vielen anderen Ländern gibt es solche Meldepflichten schon längst. Wer
noch (wissenschaftlich untermauerte) Gründe für den
automatischen Informationsaustausch sucht besonders in Abgrenzung zur Abgeltungssteuer, dem sei dieses neue Papier
von Grinberg empfohlen (hier).
Es lebe also der automatische Informationsaustausch!