Steuerflucht nach Singapur: Steuerabkommen macht’s möglich

Vielen Medienberichten zufolge setzt sich Schäuble zur Zeit dafür ein, dass es mit Singapur, angeglich dem wichtigsten oder einem wichtigen Schlupfloch im Steuerabkommen mit der Schweiz, eine verbesserte Zusammenarbeit in der Verfolgung von Steuerhinterziehern geben solle. Susanne Jacoby von Campact hat dazu einen äußerst hilfreichen Blog verfasst (siehe hier), den wir mit Dank unten in ganzer Länge reproduzieren. 

Geschickt wird in den Medienberichten das Fachvokabular so verwendet, dass der Laienleser glaubt, die sogenannte "Abschleicherproblematik" würde damit gelöst, und Deutschland könnte fortan alle deutschen Steuerhinterzieher, die ihre Gelder nach Singapur verschoben haben, entdecken und besteuern. Zum Beispiel schreibt die Süddeutsche Zeitung:
"Nach dem jetzt überarbeiteten, aber noch nicht unterzeichneten Abkommen zwischen Deutschland und Singapur soll künftig ein Informationsaustausch für alle Steuerarten möglich sein. Voraussetzung für den Austausch ist zudem nicht mehr, dass der Steuerpflichtige in einem der beiden Vertragsstaaten wohnen muss. Auch kann eine Regierung ein Auskunftsersuchen nicht mehr mit dem Argument zurückweisen, dass sie die erbetenen Informationen nicht für eigene steuerliche Zwecke benötigt."
Diese Neuerungen, die angeblich eine deutliche Verbesserung der Verfolgungsmöglichkeiten deutscher Steuerhinterzieher mit Konten in Singapur darstellen sollen, sind in Wirklichkeit eine Lappalie. Schon seit 2005 (Seite 2, hier) schreibt das Musterabkommen der OECD vor, dass diese Klauseln standardisierter Bestandteil von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) sein sollen. Damit passt Schäuble sein DBA mit Singapur lediglich an die längst gängige Rechtspraxis an. Dass diese wesentlich etwas an der Entdeckungswahrscheinlichkeit von Hinterziehern in Singapur ändere, ist allerdings reines Wunschdenken (siehe unten). Denn selbst wenn Singapur Gruppenanfragen zulassen und sie äußerst großzügig interpretierten würde, müsste eine Rückwirkung zum Januar 2010 vereinbart werden, damit sie sogenannte Abschleicher wirklich erfassen könnte. Januar 2010 ist der Zeitpunkt, als der Vorschlag über ein Steuerabkommen mit der Schweiz publik wurde (siehe hier). Eine solche Rückwirkung ist jedoch völlig unrealistisch - die bessere Alternative ist die Überarbeitung der EU-Zinsrichtlinie.

Man darf darüber hinaus nicht vergessen, dass Gruppenanfragen ein völlig neues, noch nicht ausprobiertes Mittel der Steuerkooperation sind. In der Stellungnahme für den Finanzausschuss zum Deutsch-Schweizer-Steuerabkommen schrieben wir (Seite 3, hier):
"Die im Juli erfolgte Zulassung von Gruppenanfragen deutscher Finanzbehörden im Rahmen des OECD-Standards für Steueramtshilfe gelten nicht rückwirkend und verhindern nicht effektiv das „Abschleichen“ von Altvermögen in andere Steueroasen. Selbst wenn Gruppenanfragen rückwirkend möglich wären, unterliegen diese strengen Auflagen und können schwerlich so präzise gestellt werden, dass versteckte Gelder tatsächlich offen gelegt werden müssen. Schweizer Behörden könnten im Zweifelsfall aufgrund einer behaupteten „fishing expedition“ die Zusammenarbeit gemäß OECD-Standard ablehnen. Ohne einen flankierenden automatischen Informationsaustausch können Gruppenanfragen keine echte Wirkung gegen Steuerhinterziehung entfalten."
Selbst die USA sind sich der noch offenen Interpretation des neuen OECD-Standards so unsicher, dass sie vorsorglich mit der Schweiz eine Rahmenvereinbarung treffen möchten, in der sie explizit festlegen welche Gruppenanfragen zulässig sein werden (siehe II.A.3 hier). Der große Unterschied ist hier jedoch, dass die USA mit Schweizer Banken den automatischen Informationsaustausch verpflichtend eingeführt haben (siehe Seite 22-24, hier), und die Gruppenanfragen nur als flankierende Maßnahme dienen. Deutschland hingegen will an keiner Stelle der automatischen Informationsaustausch mit Singapur, denn sonst würde es sich für die Verabschiedung der vorliegenden Überarbeitungsentwürfe der EU-Zinsrichtlinie stark machen (siehe weiter unten). Selbst wenn also Schäuble bei Gruppenanfragen genauso fordernd gegenüber Singapur auftreten würde wie die USA gegenüber der Schweiz: das Ergebnis wäre bestenfalls das übliche Katz-und-Mausspiel zwischen den Steuerbehörden und Steuerhinterziehern. An der Möglichkeit systematischer Steuerhinterziehung durch Singapur-Konten und Rechtsgebilden würde dies herzlich wenig ändern.

Im folgenden der campact-Blog von Susanne Jacoby: 
Bundesfinanzminister Schäuble hat die Hoffnung auf sein Steueramnestieabkommen mit der Schweiz noch nicht aufgegeben. Dafür reist er jetzt bis nach Asien: Dort will er das „Schlupfloch Singapur stopfen“, titelten Medienberichte diese Woche.

Singapur ist eines der Länder, in das deutsche Steuerbetrüger mit Vermögen in der Schweiz ihr Schwarzgeld verschieben können, um der Besteuerung durch das geplante Steuerabkommen zu entgehen. In wenigen Minuten kann ein Bankkunde sein Konto zum Beispiel in eine ausländische Niederlassung derselben Bank – etwa in Singapur – oder eine Tochtergesellschaft auf den Bahamas verlegen. Wer will, kann sein Geld auch mit komplexen Strukturen weiter verschleiern.

Im August berichtete die Financial Times Deutschland es gebe Hinweise, nach denen die Schweizer Großbank UBS Steuerbetrügern helfe, ihr Geld in Singapur zu verstecken. Recherchen der ZEIT zufolge verschieben Schweizer Banken massiv Gelder nach Singapur. Die Möglichkeit des „Abschleichens“ (Verschieben der Gelder in andere Steueroasen vor Inkrafttreten des Abkommens) ist einer der Hauptkritikpunkte der SPD-Länder, die das Abkommen deswegen im Bundesrat blockieren.
Schwarzgeld auf dem Weg in die Schweiz - und weiter nach Singapur?
 Schwarzgeld auf dem Weg in die Schweiz – und weiter nach Singapur?

Kann Schäuble das Abschleichen mit seinem Besuch in Singapur stoppen? Nein. Er will lediglich das bereits existierende Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen Deutschland und Singapur aktualisieren. DBAs sollen in erster Linie vermeiden, dass Personen, die in beiden Staaten Einkünfte erzielen, in beiden Staaten – also doppelt – besteuert werden. Als Vorlage dient das sogenannte Musterabkommen der OECD, das regelmäßig überarbeitet wird und damit neue Standards setzt. Es enthält auch Regelungen über einen Informationsaustausch. Danach können Staaten beim jeweils anderen Staat Informationen über vermeintliche Steuerbetrüger erfragen.

Diese Art des Informationsaustauschs funktioniert üblicherweise jedoch nur “auf Anfrage” und ist extrem schwach. Im Grunde muss der anfragende Staat bereits wissen, was er sucht, bevor er ein aussichtsreiches Informationsgesuch stellen kann. Außerdem sind Informationen oftmals gar nicht verfügbar oder nur sehr schwer zugänglich, so dass die Anfragen ins Leere laufen.

Einen Fluchtweg verbaut Schäuble deutschen Steuerbetrügern damit also nicht. Eines der größten Schlupflöcher des deutsch-schweizerischen Abkommens bleibt weiter offen wie ein Scheunentor. Deshalb muss Schäuble das Abkommen endlich für gescheitert erklären und sich für eine weit bessere Alternative stark machen: Die Zinsrichtlinie der Europäischen Union.

Die EU-Zinsrichtlinie sieht einen automatischen Informationsaustausch vor. Die EU-Mitgliedsstaaten sowie einige Drittstaaten informieren sich gegenseitig über Zinseinkünfte auf Auslandskonten von EU-BürgerInnen. Weil die ursprüngliche Richtlinie Schlupflöcher aufweist, hat die EU-Kommission sie grundlegend überarbeitet. Ausländische Niederlassungen von Banken – wie in Singapur – würden zum Beispiel mit erfasst. Diese neue Variante könnte ein enorm wirkungsvolles Instrument zur effektiven und gerechten Besteuerung von Kapitaleinkünften und zur Verbrechensbekämpfung werden. Schäuble muss es nur wollen!