Vergangene Woche hat das Finanzministerium auf einer großen Veranstaltung eine neue „Verhandlungsgrundlage“ für zukünftige Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) veröffentlicht, auf deren Basis in Zukunft mit andern Staaten verhandelt werden soll. Es gibt bisher keine solche offizielle Grundlage, insofern handelt es sich hier wohl einerseits um eine neue Kommunikationsstrategie des Ministeriums. Andererseits behauptet die Grundlage aber – zumindest auf dem Papier – einen Systemwechsel einzuleiten. Denn sie sieht vor, dass DBAs in Zukunft nicht nur der Vermeidung von Doppelbesteuerung dienen sollen, sondern auch der Vermeidung von doppelter Nicht-Besteuerung und Steuerverkürzung.
Bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieser vermeintlich große Wurf aber leider als eine Mogelpackung, denn Deutschland orientiert sich weiterhin an der bisher von Deutschland durchgesetzten Freistellungsmethode für ausländische Gewinne deutscher Konzerne. Dabei wird das in einem Land erzielte Einkommen im anderen Land (etwa Deutschland) nicht mehr besteuert ("freigestellt"). Nur für eine Reihe von Fällen wird die Anrechnungsmethode vorgesehen, wonach die ausländischen Erträge durchaus hier steuerpflichtig bleiben, die tatsächlich im Ausland bezahlten Steuern aber auf die inländische Steuerschuld angerechnet werden. Man will auch weiterhin möglichst in Verhandlungen durchsetzen, dass im Quellenstaat, wo ein Tochterunternehmen aktiv ist, keine Steuern auf Zinsen und Dividenden erhoben werden. Dieses Ziel ist vor allem aus entwicklungspolitischer Perspektive äußerst bedenklich. Dass Quellensteuern gerade für Entwicklungsländer wichtig und deshalb auch Teil des UN-Musterabkommens für DBAs sind, scheint die deutsche Regierung noch immer nicht zu kümmern. Ganz offen wurde auf der Veranstaltung betont, dass man die Quellensteuern so weit wie möglich herunterhandeln wolle. Das fördert den Abfluss von Gewinnen aus Entwicklungsländern. Damit rückt sich die deutsche Bundesregierung ganz in die Nähe der Schweizer Verhandlungsposition und Steueroasenstrategie, die jüngst von Schweizer Hilfswerken grundsätzlich kritisiert wurde (siehe hier).
Auch fördert und unterstützt die Freistellungsmethode den internationalen Steuersenkungswettlauf, in dem ja auch Deutschland mittlerweile munter mitspielt (etwa hier), der aber gleichzeitig auch gerne als Sündenbock durch viele Politiker bemüht wird und als angebliche Ursache alternativloser Steuersenkungen herhalten muss (Hintergrund Freistellung hier).
Positiv hingegen an der neuen deutschen Strategie scheint, dass zur Vermeidung doppelter Nicht-Besteuerung mit einer ganzen Reihe an Vorschriften die Freistellung eingeschränkt werden soll:
- Sie ist gebunden an echte ökonomische Aktivität eines Unternehmens (das Problem dürfte allerdings sein: wie genau ist diese definiert? Seit 2006 ist die genau darauf zugeschnittene Hinzurechnungsbesteuerung innerhalb der EU nicht mehr anwendbar - was nutzt es dann? siehe Wiki hier)
- Sie gilt nicht für steuerbefreite Gesellschaften oder wenn Dividenden im anderen Staat abzugsfähig sind.
- Sie gilt nicht bei so genannten Qualifikationskonflikten, also wenn z.B. die unterschiedliche Bewertung einmal als Eigenkapital und einmal als Kredit zu einer Nullbesteuerung führt.
- Sie soll nicht gelten, wenn der andere Staat nicht tatsächlich besteuert.
- Es gibt eine Art Generalklausel, wo Deutschland die Anrechnung statt der Freistellung verlangen kann.
- Das DBA soll nicht so zu verstehen sein, dass es grenzüberschreitende Verlustverrechnung innerhalb eines Konzerns erzwingt.
- Zudem soll das DBA keinen nationalen Vorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung entgegenstehen.
Zwar sind einige dieser Einschränkungen nicht neu und finden sich teilweise auch schon jetzt in einzelnen DBA, aber die Einschränkung gewinnt durch den umfassenden Verhandlungskatalog eine neue Dimension. Die Frage ist: warum hat man nicht gleich einen echten Systemwechsel hin zur Anrechnungsmethode vollzogen?
Ebenfalls positiv ist, dass der Informationsaustausch im Regelfall von Einzelanfragen auf Gruppenanfragen erweitert werden soll. Damit braucht die Behörde nicht mehr den Namen einer einzelnen Person und andere Details, was bislang den Informationsaustausch oft wirkungslos macht. Die Gruppenanfragen dürften ein großer Fortschritt beim Informationsaustausch sein, bleiben allerdings unerprobt, könnten von Steueroasen auch abgelehnt werden, und entfalten ihre volle Kraft nur in Kombination mit dem automatischen Informationsaustausch (siehe hier). Insgesamt bleiben sie noch immer weit zurück hinter dem automatischen Austausch, den sogar Finanzminister Schäuble diese Tage allerorten als Mittel gegen Steuerflucht hochhält. Hier hinkt die Grundlage den Ereignissen hinterher.
Die auf dem Podium anwesenden Professoren und Wirtschaftsvertreter kritisierten die Grundlage ziemlich stark, weil sie die Freistellung zu sehr einschränke. Allerdings werden auch dort die neuartigen Probleme bei der Besteuerung von Internetfirmen wie Google gesehen. Die Regierung sollte sich von dieser Kritik nicht irritieren lassen. Die tatsächliche und ausreichende Besteuerung aller ökonomischen Aktivitäten ist nötig, um Steuergerechtigkeit herzustellen und diese wird auch mit der neuen Verhandlungsgrundlage noch lange nicht erreicht.
Spannend war die in der Diskussion mehrfach aufgeleuchtete Erkenntnis, dass sich Deutschland wohl immer mehr in der neuartigen Situation befindet: Es ist nicht mehr nur Ansässigkeitsstaat, aus dem heraus Mutterfirmen über ihre Töchter in anderen Staaten investieren, sondern immer mehr auch Quellenstaat, also Land, in das hinein investiert wird. Das rührt zum einen her von der neuen Weltlage mit den aufstrebenden Schwellenländern, zum andern von der ortlosen Internetökonomie. Damit wird sich der Kampf gegen Quellensteuern, den Deutschland auch mit der neuen Grundlage noch immer führt, bald gegen Deutschland richten – weil man dann nämlich selbst ein starkes Interesse an Quellensteuern hat. Traurig, dass Deutschland hier einmal mehr nur Mitläufer statt Vorreiter für Steuergerechtigkeit bleibt.