Es droht ein zweites Zypern


Das Netzwerk Steuergerechtigkeit ist eine überparteiliche Organisation. Wann immer jedoch Politiker Positionen in unserem Sinne vertreten, möchten wir das dokumentieren. Der folgende Gastbeitrag von Sven Giegold und Jean-Paul Besset der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz erschien am 9. Juli 2013 in der Frankfurter Rundschau. Wir posten den Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

Lettlands Steuerpolitik macht das Land gefährlich. Es könnte die nächste Steueroase in der EU sein.


Von Sven Giegold und Jean-Paul Besset 

Vergangene Woche hat das Europäische Parlament grünes Licht für den Beitritt Lettlands zur Eurozone gegeben. Heute werden die Finanzminister der EU dem Beitritt zustimmen und eine kleine Feierstunde abhalten. Gerade jetzt, wo verstärkt Zweifel an der europäischen Idee laut werden, ist es das richtige Zeichen, um den Prozess der europäischen Integration zu stärken.

Lettland hat sich in den vergangenen Jahren stark ins Zeug gelegt, um die vertraglich festgelegten Konvergenzkriterien zu erfüllen. Wir freuen uns darüber, dass dies gelungen ist. Die sozialen Kosten der Anpassungspolitik ohne Abwertung waren fraglos sehr hoch, wurden jedoch in einer demokratischen Wahl von der Mehrheit der Lettinnen und Letten bestätigt. Völlig klar muss allerdings sein: Der Euro- Raum ist nicht das Ende des Integrationsprozesse. Noch bleibt viel zu tun, und auch andere Bedingungen müssen erfüllt sein, um den Erfolg des gemeinsamen Projektes Euro zu sichern. Zwar sind die Bedingungen in Lettland andere als in Zypern, doch wirft auch die Krise Zyperns noch immer einen Schatten über die Währungsunion. Die Mittelmeerinsel ist ein Spezialist in der Steueroptimierung und dient mit seinen laxen Regeln zur Geldwäsche als Hafen für russisches Kapital. Lettland könnte jetzt angesichts des ruinierten Images Zyperns als Finanzplatz in diese Fußstapfen treten und damit gefährlich für die anderen Sozialstaaten der Eurozone werden: Unabhängig von der strikten Wirtschaftspolitik hat die lettische Regierung eine Steuerstrategie entwickelt, die der zypriotischen verdächtig ähnlich ist. Die Steuergesetzgebung und die Unternehmenssteuersätze sind so konzipiert, dass sie die Bemessungsgrundlage anderer europäischer Länder unterwandern. Gleichzeitig können die lokalen Unternehmen aber von den Vorzügen eines gemeinsamen Marktes und dem freien Kapitalverkehr profitieren. Konzerne können so Steuern auf Gewinne umgehen, die sie in anderen Ländern erwirtschaftet haben.

Mit großer Sorge sehen wir vor allem die Unternehmensbesteuerung und den steuerlichen Umgang mit Dividenden. In dieser Hinsicht müssten wir bereits durch die nicht-kooperative Steuergesetzgebung in Irland, Luxemburg, Malta und den Niederlanden alarmiert sein. Die lettischen Regeln werden das Land schnell in den gefährlichen Club derjenigen Staaten führen, die eine gemeinsame Steuerpolitik in der EU seit Jahrzehnten zunichtemachen. Der Unternehmenssteuersatz liegt bei nur 15%, während der EU-Durchschnitt 23,5% beträgt. In Deutschland liegt der Satz sogar bei ca. 30%, weil man die Gewerbesteuer noch hinzurechnen muss. Darüber hinaus wird in Lettland ab 2014 keine Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen an ausländische Investoren mehr erhoben. Das bedeutet, dass europäische Konzerne eine Holding- Gesellschaft in Lettland gründen können, über die sie Gewinne aus der EU in Steuer-Oasen wie Singapur oder die Kaiman-Inseln schleusen können. Dieser Vorteil im Steuerwettbewerb wird einen massiven Zustrom an europäischem Kapital bescheren und aus dem Land eine Steueroase machen.

Ein weiterer Grund zur Sorge ist das Bankgeheimnis. So schwach wie unzureichend angewandt die Gesetzgebung zur Geldwäsche ist, so stark und unantastbar ist das Bankgeheimnis. Verletzungen können mit Haftstrafen belegt werden. Diese Art der Abschreckung verfolgt vor allem ein Ziel: den Schutz von illegalen Vermögen oder von Steuerhinterziehung. Die europäischen Anstrengungen zur Bekämpfung der Geldwäsche können in dieser Situation nicht fruchten. Wie in Zypern stellen die Berichte zur Befolgung der globalen Anti-Geldwäsche-Regeln (Moneyval) fest: Die formalen Gesetze gegen Geldwäsche wurden im lettischen Recht verankert, doch bei der Umsetzung hapert es.

Der Beitritt Lettlands bietet eine gute Gelegenheit zu zeigen, welche Lehren aus der Krise zu ziehen sind. Es ist Zeit, die Debatte über eine Erweiterung der Bedingungen für Beitrittskandidaten in die Eurozone zu eröffnen. Bisher galten für neue Euro-Staaten vor allem gesunde Staatsfinanzen und die Kontrolle der Inflation als harte Beitrittskriterien. Gleichzeitig hat die Krise offengelegt, dass dies nicht genügt. Vielmehr waren exzessive Kreditvergabe im Immobilienmarkt, instabile Banken und zu schneller bzw. zu langsamer Anstieg der Lohnstückkosten mindestens ebenso ursächlich für die Probleme vieler Euro-Länder. Das neue EU-Verfahren zur Überwachung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte trägt dem Rechnung. Es ist daher unverständlich, dass neue Euro-Mitgliedsländer auf diese Ungleichgewichte hin nicht geprüft werden.

Auch wenn die Beitrittskriterien in den EU-Verträgen angelegt sind, können weitere Kriterien im Beitrittsprozess zumindest überwacht werden. Diese neuen Kriterien müssen einen Rahmen für die nationalen Steuergesetzgebungen enthalten, der so lange greift, bis die Harmonisierung erreicht ist. Die "klassischen" Kriterien (Budgetdefizit, Staatsschuldenquote, Inflation etc.) sollten nicht abgewertet werden. Heute sollten wir jedoch gelernt haben, dass die bestehenden Bedingungen nicht ausreichen, um dem zerstörerischen Steuerwettbewerb und Geldwäsche zu begegnen. Es kann nicht im Interesse der Länder sein, die auf Steuerdumping verzichten, die Koalition der Steueroasen weiter wachsen zu lassen. Der Beitritt Lettlands bestärkt die Notwendigkeit zu einer Erweiterung der Euro-Beitrittsregeln. Mit Litauen steht schon der nächste Kandidat mit besonderen Steuervorteilen vor der Tür.

Sven Giegold und Jean-Paul Besset sind Abgeordnete des Europäischen Parlaments

Der Artikel erschien in dieser Form am 9. Juli 2013 in der Frankfurter Rundschau; zum Originalartikel geht es hier.