Entwicklungsbremse Steuervermeidung

Dieser Artikel erschien im Südlink und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Südlink-Redaktion reproduziert.

Internationale Konzerne zahlen im globalen Süden viel zu wenig Steuern. Die Industrieländer blockieren Reformen, um dem ein Ende zu bereiten. Von Lisa Großmann und Markus Meinzer

Steuern sind das Lebenselixier einer Demokratie. Sie finanzieren die öffentlichen Dienstleistungen, von denen Gering- und Normalverdiener am meisten profitieren. Vor allem in Entwicklungsländern zahlen Unternehmen jedoch bis heute zu selten und zu wenig Steuern. Dies gilt vor allem auch für internationale Konzerne, die im globalen Süden tätig sind. Die industrialisierten Länder verweigern sich bis heute strengeren Regeln, die dem ein Ende bereiten könnten.

Weil Unternehmen im globalen Süden zu wenig Steuern zahlen, fehlt den Regierungen Geld für wichtige staatliche Aufgaben. Die Folge sind oftmals eine ungesunde, strukturelle Abhängigkeit von ausländischer Entwicklungshilfe oder die Flucht in genauso wenig nachhaltige Schulden. Dieses Problem ist jedoch keineswegs nur hausgemacht. Der Internationale Währungsfonds schätzte im Jahr 2015 die Mindereinnahmen der Länder des globalen Südens durch internationale Unternehmenssteuervermeidung auf circa 200 Milliarden US-Dollar. Ertragssteuern internationaler Konzerne sind für den globalen Süden eine wichtige, gleichzeitig aber auch bedrohte und unsichere Einnahmequelle. Die Verluste durch Konzernsteuervermeidung belaufen sich hier auf 6 bis 13 Prozent der Steuereinnahmen (während sie in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, nur etwa 2 bis 3 % betragen).

Auch die 2013 ins Leben gerufene OECD-Steuerinitiative gegen Unternehmenssteuervermeidung (Base Erosion and Profit Shifting – BEPS) geht dieses Problem nicht an. Der globale Süden wurde von den Verhandlungen um neue internationale Steuerregeln größtenteils ausgeschlossen. Die Vorschläge der OECD enthalten sehr komplizierte und restriktive Regelungen, die vor allem darauf bedacht sind, das Steueraufkommen der Industrienationen zu sichern. Ein Weg, um eine gerechte Verteilung der Unternehmenssteuern zu erreichen, sind öffentliche länderspezifische Berichtspflichten für Konzerne. Viele Nichtregierungsorganisationen fordern seit langem die Offenlegung solcher Konzernbilanzen, durch die nachvollzogen werden könnte, wo die Konzerne wirtschaftlich aktiv sind, welche Gewinne sie erzielen und wo sie ihre Steuern zahlen – oder auch nicht. Während der Verhandlungen um BEPS war der Widerstand etwa aus den USA und Deutschland jedoch so groß, dass aus den öffentlichen Berichtspflichten nur eine Berichtspflicht an den Fiskus im Land der Konzernmutter übrig geblieben ist.

Im Ergebnis droht diese Regelung die Besteuerungsrechte und -möglichkeiten von Entwicklungsländern noch weiter zu untergraben. Denn der Konzernsitz ist in aller Regel ein OECD-Staat, während alle anderen Staaten nur über Umwege und aufwendige Informationsaustauschprozesse und unter strengen Auflagen Zugang zu diesen Daten erhalten sollen. Obwohl die Konzernaktivitäten in diesen Entwicklungsländern eine oftmals viel höhere relative wirtschaftliche und fiskalische Bedeutung haben als in den OECD-Staaten, sollen sie zu Bittstellern dieser Daten werden und Auflagen erfüllen, die von OECD-Staaten entschieden und vorgeschrieben werden. Nun soll fast dem gesamten globalen Süden der Zugang zu den Konzernbilanzdaten verwehrt bleiben.

Neben der Steuervermeidung multinationaler Unternehmen gehen dem globalen Süden auch durch die Offshore-Steuerflucht wirtschaftlicher und politischer Eliten beträchtliche Mittel verloren. Allein aus Afrika wurden zwischen 1970 und 2008 944 Milliarden US-Dollar als Offshore-Finanzanlagen oft bei europäischen und US-amerikanischen Banken angelegt. Diesem gewaltigen Finanzvolumen standen im Jahr 2008 staatliche Auslandsschulden derselben afrikanischen Staaten bei westlichen Staaten von nur 177 Milliarden US-Dollar gegenüber. Weitaus größere Summen haben Afrika also in Richtung des globalen Nordens verlassen, als über Kredite zurückgeflossen sind. Ein ähnlicher Befund lässt sich auf globaler Ebene erkennen.

Illegitime und illegale Kapitalabflüsse


Die Studie »Price of Offshore Revisited« des Tax Justice Network ergab für das Jahr 2010, dass 139 Schwellen- und Entwicklungsländer durch die Offshore-Gelder unter dem Strich dem Rest der Welt – und damit auch den Industrienationen – zwischen 10 und 13 Billionen US-Dollar als Kredit zur Verfügung stellen. Diese illegitimen und illegalen Kapitalabflüsse wurden und werden durch Strafbarkeitslücken und mangelnde Steuerkooperation westlicher Staaten sowie durch westliche Banken unterstützt und ermöglicht. Die Zahlungen, die Länder des globalen Südens im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit erhalten – im Jahr 2015 waren es 132 Milliarden US-Dollar – können diese Verluste bei weitem nicht ausgleichen. Dagegen helfen könnte der 2014 eigeführte automatische Informationsaustausch zu Finanzkonten. Doch auch dieser zeigt  sich bei genauerem Hinsehen als eine exklusive Veranstaltung des globalen Nordens. So ist der Informationsaustausch zwar von essenzieller Bedeutung für den globalen Süden, um die illegalen Finanzströme aus ihrem Staatsgebiet heraus erkennen und unterbinden zu können, jedoch beharrt Deutschland bei Datenaustausch auf Reziprozität.

Das Prinzip der Reziprozität, also der gegenseitigen Meldung,  ist bisher zwingende Voraussetzung für die Meldung der Daten. Die Erfordernis der Reziprozität erscheint als willkürlich und kaum zweckhaft: Wer versteckt schließlich sein Geld in Nigeria oder der Elfenbeinküste? Bevor diese Staaten aber Informationen über ihre Steuerflüchtlinge mit Auslandskonten erhalten können, müssen sie ein komplexes Regelwerk verhandeln und einen Verwaltungsapparat aufbauen, mit dem die imaginären Steuerflüchtlinge aus dem Ausland ebenfalls erfasst werden könnten – so es sie denn gäbe. Das ist nicht nur unsinnig, sondern verschwendet extrem knappe Ressourcen in vielen Ländern, denen es aus Kapazitätsgründen oft nicht einmal gelingt, die Konzerne im Inland ordentlichen zu prüfen.

Um in einer Welt mit globalisierten Finanzmärkten international zu gerechten Lösungen zu kommen, ist eine internationale Kooperation in Steuerfragen unumgänglich. Langfristig liegt die Lösung für diese Probleme in der Einrichtung einer internationalen Steuerorganisation unter dem Dach der Vereinten Nationen. Nur diese ermöglichte es, alle Länder gleichberechtigt an der Aushandlung internationaler Steuerregeln zu beteiligen.   

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